Mit einem öffentlichen Vortrag von Lars Witteck, ehemalige Gießener Regierungspräsident und heutiger Vorstand der Volksbank Mittelhessen, endete am Dienstag vergangener Woche die Jahreshauptversammlung des Fördervereins zum Erhalt der Johanneskirche Gießen e.V. zum Thema „CHRISTLICHES HANDELN IN POLITIK UND WIRTSCHAFT“ – möglich in diesen Zeiten?“.
Nicht nur möglich, sondern auch nötig! Auf diesen kurzen Nenner könnte man das Fazit von Lars Witteck bringen, der am Dienstagabend letzter Woche einen engagierten Vortrag in der Gießener Johanneskirche hielt. Eingeladen hatte der Förderverein für den Erhalt dieser Kirche, und ca. 120 Personen sind gekommen, darunter auch einige Kommunalpolitiker sowie der Gießener Landtagsabgeordnete Frank-Tilo Becher. „Zur Debatte“ hieß das Veranstaltungsformat, mit welchem der Förderverein deutlich machen will, dass der Erhalt eines historisch bedeutsamen Gebäudes nicht allein nur der Sicherung des materiellen Bestands dienen darf. Denn ohne die Förderung des Bewusstseins für die ideellen Werte, die 1893 zum Bau der Johanneskirche Gießen geführt haben, wird auch der äußere Wert auf Dauer nicht zu sichern sein.
Von daher waren die Weichen für einen Einstieg mit deutlicher Kritik an gesellschaftlichen Fehlentwicklungen gestellt. Sehr drastisch beantwortet der ehemalige Gießener Regierungspräsident und heutiger Vorstand der Volksbank Mittelhessen Wittek die eingangs selbst gestellte Frage, in welcher Welt wir eigentlich leben. Angefangen von der mittlerweile vielfachen Respektlosigkeit und frecher Arroganz gegenüber Feuerwehr, Polizei und Rettungskräften bei ihren Einsätzen bis hin zur gewissenlosen Raserei einer PS verrückten Autoszene mit schon einigen Todesopfern in deutschen Städten begründete der Referent seine Beobachtung von Werteverlust und Egoismus. Auch die wachsende Hass- und Verrohungskultur im Internet mit widerlichen Kommentaren über andere Menschen beschrieb der Referent am Beispiel verbaler Entgleisungen gegenüber Kanzlerin Angela Merkel und der GRÜNEN Politikerin Petra Roth.
Mit drei Thesen versuchte Witteck die aktuelle Situation zu erklären. Zum einen fehle es an Vorbildern in Politik und Wirtschaft und zum anderen gäbe es eine Überforderung der Gesellschaft durch Geschwindigkeit, Komplexität und Digitalisierung. Aber auch Fantasien digitaler Allmacht und anstrengungsloser Berühmtheiten verwischen die Grenzen menschlicher Werte, wenn z.B. ein Post des Modells Kardashians bei Instagram eine halbe Million Dollar einbringt. Dem allen gegenüber bedeute, so Witteck, christliches Handeln sich in die gesellschaftliche Wertedebatte einmischen, dabei Vorbild sein, sich von der Wertschätzung für die Menschen leiten lassen und langfristige Ziele haben, welche Menschen verbindet. Alles in allem, so Witteck´s Resümee zum Schluss als Antwort auf Rückfragen aus dem Plenum mit einem Zitat des ehemaligen Verfassungsrichters Wolfgang Böckenförde „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“. In diesem Sinne erwarte er von der Kirche eine moderierende Rolle in der gesellschaftlichen Werte-Debatte.
Für den geschäftsführenden Vorstand des Fördervereins dankte Klaus-Richard Arnold dem Referenten sehr herzlich. In der vorausgegangenen Hauptversammlung standen keine Wahlen an. Der Vorstand wurde in seiner Haushaltsführung entlastest und der Tätigkeitsbericht des vergangenen Jahres mit Zustimmung entgegen genommen. Als Ziel für dieses Jahr wurde die Unterstützung für die beiden Johanneskirchengemeinden Lukas und Johannes für die Errichtung eines barrierefreien Zugangs zur Johanneskirche genannt. Weiterhin berichtete Wolfgang Launspach, Schatzmeister des Vereins, über das Projekt eines Bastelbogens für ein Modell der Johanneskirche. Dieses ist im Gießener Kirchenladen erhältlich. Der Kaufpreis von 10 Euro dient der Refinanzierung für die kostenlose Überlassung an die Schulen. Ein weiteres Ziel des Vereins ist die Werbung von Mitgliedern. Interessenten können sich direkt mit Wolfgang Launspach in Verbindung setzen, Telefon 0179 13 55 605.